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Natürlich gab es ganze Reihe Brettspiele in der DDR und vor allem der pädagogische Wert des Spiels war in Ostdeutschland nicht unbekannt. Trotzdem sah die Industrie verglichen mit der westdeutschen Spieleproduktion recht eintönig aus. Während sich in der Bundesrepublik spätestens seit der Einführung des „Spiel des Jahres“ Spiele für die ganze Familie (also auch für Erwachsene) durchsetzen konnten, stagnierte die Spielelandschaft des Ostens und reproduzierte oftmals nur wenig originelle Kinderspiele.
Doch die neuen Spielideen des Westens wurden über die Grenzen des Eisernen Vorhangs hinaus auch in der DDR bekannt. Zum eigenen Gebrauch kopierten findige Bürger diese Spiele, die zum Teil durch Verwandte, christliche Kreise oder Westkontakte in den Osten gelangten. Neben handgefertigten Kopien von Sagaland, Scotland Yard oder Heimlich & Co. war es vor allem Monopoly, das so in vielen Haushalten Einzug halten konnte. Die Einfuhr dieses Spiels in die DDR war zwar verboten, doch erhöhte dies seinen Reiz vermutlich nur noch mehr.
Das Spiel Bürokratopoly
Allerdings wurden nicht nur Spiele nachgemacht, sondern auch komplett neu entwickelt. Die bemerkenswerteste Eigenentwicklung ist Martin Böttgers Bürokratopoly, das er in den Jahren 1983/84 erfand. Dabei ließ sich Böttger zwar von bekannten Spielen, wie Risiko oder Monopoly inspirieren, doch es entstand ein neues Spiel, das sich nicht um Krieg oder Geld drehte. Das Streben nach Macht war die Triebfeder seines Spiels, welches auf ironische Art und Weise versuchte die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR zu skizzieren. „In einer zentralistischen Funktionärsbürokratie, wie der DDR, war es das Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg, nach Macht, das das System zusammenhielt“, meint Böttger. Somit stellte Bürokratopoly nicht bloß ein Brettspiel dar, sondern war zugleich ein gewitzter Blick auf den Staat und sein Machtgefüge.
Ziel des Spiels war es, vom einfachen Arbeiter zur obersten Figur im Staat aufzusteigen und Generalsekretär der SED zu werden. Um nach oben zu gelangen und nachrückende Mitbewerber unten zu halten, war jedes Mittel recht: Lug, Wahlbetrug, Meuterei und vieles mehr. Auch wenn Spielen nicht selten etwas Harmloses und Heimeliges anhaftet, ging Martin Böttger mit seinem Machwerk gewiss einige Risiken ein. Schließlich sah §220 des Strafgesetzbuchs der DDR für die öffentliche Herabwürdigung eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Seine Stasi-Akte zeigt, dass es sich dabei nicht bloß um graue Theorie handelte, sondern der Spieleautor tatsächlich mit seiner Erfindung in den Fokus der Staatssicherheit geriet. Von diesem Eintrag in seine Akte erfuhr Böttger natürlich erst nach der Friedlichen Revolution 1989. Darin ist die Rede von einem „sogenannten Gesellschaftsspiel mit negativ-feindlichem Charakter“, welches auf „ironische Weise die angeblichen Wege zur Erlangung und zum Verlust politischer Macht in der DDR aufzeigt“. Daneben findet sich obendrein eine komplette Fotokopie des Spiels, samt Spielplan und allen Ereigniskarten.