Zwischen Herzinfarkt & Dienstwagen
Aufstieg und Verweigerung im Staatssozialismus
Die DDR präsentierte sich selbst gerne als ein Staat der sozialen Gerechtigkeit. Zwar hatte man die vollkommene Gleichheit bis zur Durchsetzung des Kommunismus aufgeschoben, doch schon im Sozialismus – so wurde behauptet – seien die Ausbeuterklassen abgeschaff t. Die DDR sei ein Arbeiter-und-Bauern-Staat. Die Wirklichkeit war jedoch von diesem Anspruch weit entfernt. Tatsächlich waren bereits nach dem Krieg die großen Fabriken und Banken enteignet worden. Doch statt der kapitalistischen Eigentümer herrschten nun Funktionäre und Bürokraten. Ein Witz brachte es auf den Punkt: »Im Kapitalismus wird der Mensch durch den Menschen ausgebeutet – und im Sozialismus ist das umgekehrt.«
Die Macht der Partei basierte vor allem auf der Gewalt und Gewaltandrohung. Doch ihre innere Stabilität verdankte die DDR einem fein ausdiff erenzierten und tief gestaff elten System von Belohnung und Bestrafung. Es war nicht so, dass dabei die Höhe des Gehalts keine Rolle gespielt hätte, doch weit wichtiger war das System der kleinen und großen Privilegien. Diese betrafen die Wohnungsvergabe, private Telefonanschlüsse, Bereitstellung von Autos außer der Reihe, Urlaubs- und Freizeitmöglichkeiten, die gesundheitliche Versorgung und anderes mehr. Ab einer bestimmten Stufe – zu der allerdings ein steiniger Weg führte – winkten Dienstwagen, Zuteilung von Grundstücken und Häusern und nicht zuletzt der Status des Reisekaders. Auch linientreue SED-Funktionäre träumten davon, irgendwann in Paris oder Rom stehen zu dürfen. So kletterten die Angepassten mühselig die Karriereleiter hinauf. Dabei war der Eintritt in die SED wichtig, und das war keineswegs eine Formalität. Jedes Parteimitglied unterstand einer strengen Disziplin.
Da sich viele Kollegen vor gesellschaftlichen Aufgaben drückten, wurden den Genossen zusätzlich immer neue Verpfl ichtungen aufgebürdet. Ständig gab es Versammlungen zu leiten, Berichte zu schreiben, freiwillige Arbeitseinsätze zu organisieren, die Teilnahme an Demonstrationen zu gewährleisten, die Wahlen zu organisieren und vieles mehr. Natürlich hatten die Genossen immer mit gutem Beispiel voran zu gehen. Genau hier lag für viele das Problem. Da auch im Sozialismus die Leute nach Feierabend lieber nach Hause fuhren statt auf Schulungskursen zu dösen und am Wochenende lieber ausschliefen statt im Morgengrauen zur freiwilligen Sonderschicht zu eilen, war der Karrieredrang vieler Menschen stark gebremst. Was nützte der schönste Posten, wenn man jenseits der Vierzig von Magengeschwüren und Herzproblemen geplagt war? Für manchen gestressten Multifunktionär war die Herabstufung auf die untere Ebene oder gar ein Parteiausschluss ein Segen. Hinzu kam, dass es sich in den so genannten Nischen der Gesellschaft nicht nur freier und unbeschwerter leben ließ sondern, dass gerade private Handwerker aber auch manche Künstler einen weitaus höheren Lebensstandard hatten als die Mitarbeiter des Staats- und Parteiapparates. So bildeten Aufstieg und Verweigerung eine jene dialektischen Widersprüche, von denen im Parteilehrjahr so oft die Rede war.